Dagmar Hafemann

Zitat aus „Die Wolfsfrau“…

„Die Wolfsfrau – Die Kraft der weiblichen Urinstinkte“, geschrieben von Clarissa Pinkola Estés, Jungianische Psychoanalytikerin, erschienen 1992.

„Nicht nur die wilden Tiere, auch die wilden Frauen dieser Erde sind vom Aussterben bedroht. Im Laufe der Jahrtausende wurden die weiblichen Urinstinkte systematisch plattgewalzt, abgeholzt, ausgeplündert, unterdrückt, oft zubetoniert. Die selbsternannten Verwalter der Erde hielten alles Ursprüngliche, alles Instinktive und Intuitive für eine Bedrohung ihrer Position und folglich auch nicht für erhaltenswert. Auf diese Weise wurde das urwüchsig Instinktive, das allen Frauen innewohnt, in eine der dunkelsten Ecken ihrer untergründigen Seelenlandschaften verbannt.
…Was ich als „Wolfsfrau“ bezeichne, ist weibliche Ursprünglichkeit schlechthin, und was das im Einzelnen und individuell gesehen heißen soll, offenbart sich, wenn eine Frau bereit ist, die tieferen Geheimnisse ihres eigenen Wesens zu ergründen. Viele Frauen neigen dazu, ihre Unkenntnis über ihre eigene Wesensnatur hinter Staubwolken einer endlos wirbelnden Hyperaktivität zu verbergen. Aber das weibliche Urwissen wartet im Hintergrund darauf, wiederentdeckt und auch von der modernen Frau benutzt zu werden.

Mit besonderer Vorliebe habe ich den Canis lupus und den Canis rufus studiert – Wölfe, deren Geschichte im Laufe der Zeit immer mehr der Geschichte des weiblichen Geschlechts auf diesem Planeten glich.
Freilebende Wölfe und ungekünstelte Frauen haben vieles gemeinsam: die Akkuratheit ihres instinktiven Feingefühls, eine Vorliebe für alles Spielerische und eine schier unverrückbare Loyalität. Beide Gattungen sind von Natur aus beziehungsorientiert, sie schnüffeln gern neugierig herum, sie sind wissbegierig, spitzfindig, zäh, ausdauernd und seelenvoll. Was ihre Jungen, ihre Lebensgefährten und den Rest des Rudels angeht, so legen sie ein untrügliches intuitives Gespür an den Tag. Sie sind anpassungsfähig, standhaft, und in Krisensituationen beweisen beide Gattungen einen todesmutigen Heroismus.
Dennoch wurden beide Gattungen auf bemerkenswert ähnliche Weise verleumdet und unterjocht, denn die Jahrhunderte währenden Säuberungsaktionen der moralpredigenden Weltverbesserer galten selbstverständlich nicht allein dem Wildwuchs in der Außenwelt, sondern mehr noch den ungezähmten Wildregionen der menschlichen und speziell der weiblichen Psyche.“

Auch wenn dieses Buch schon vor 30 Jahren erschienen ist, empfinde ich es als noch immer aktuell. Noch heute denken, fühlen und handeln viele von uns nach moralischen, kulturellen und religiösen Vorstellungen und Regeln, die entgegen unserer inneren Überzeugungen und Instinkte wirken.

Wer könnte ich werden, wenn ich lerne, aus meinem Bauchgefühl, aus meiner Intuition zu handeln und mich nicht mehr nach den Regeln und Beurteilungen in meinem Unbewussten richte? Eine Vorstellung, die mich begeistert hat. In meiner Generation (geboren 1957) gab es eine Unmenge an Regeln für weibliche Menschen, die aus der Zeit meiner Großeltern und Eltern stammten. Wir hatten „brav“ zu sein, nicht zu reden, wenn Erwachsene sich unterhielten und Auflehnung wurde entweder belächelt oder bestraft. Und da bei mir zu Hause noch der Teppichklopfer als Erziehungsmaßnahme eingesetzt wurde, habe ich die Strategie entwickelt, besser den Mund zu halten. Eine kluge Strategie für ein Kind, denn das sichert das Überleben. Als erwachsene Frau komme ich damit an meine eigenen ungeliebten Grenzen – um nur ein Beispiel zu nennen, bei dem das Unbewusste mein Verhalten als Erwachsene steuert. Und die Vorstellung eine Wolfsfrau“ zu werden, die ihren eigenen Regeln und Instinkten folgt, lässt mich nicht mehr los!